24 Tage
bis
zur Entscheidung
Tag 6
Ich öffne meine Augen und Paulus liegt auf den anderen Sofa. Was ist gestern noch passiert? Irgendwann sind mir meine Augen zugefallen. Plötzlich kommt Sarah um die Ecke. Bin ich in der falschen Wohnung? Seit wann ist sie denn hier? Habe ich etwas verpasst? War die Adresse falsch. Paulus schläft noch. Ich blicke zu ihr.
„Guten Morgen Jakob! Ihr beide habt ganz schön gepichelt. Paulus meinte, wir würden jetzt alle hier pennen und starten mit einen Nikolausfrühstück. Du hast ja eh schon gepennt und immer gelächelt.“
Es klingelt. Auf einmal ruft Florentine: „Ich gehe schon.“
Doch in der richtigen Wohnung? Oder träume ich das nur? Dann kommt sie um die Ecke und öffnet die Tür. Ich reibe meine Augen und frage mich gerade, was macht der hier? Der Typ sieht erst mich und dann Paulus an.
„Was machen die denn hier, Fleur?“
Samuel nennt sie Blume? Wie lange kennen sie sich? Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Mein Stiefcousin war letztes Jahr in Dezember im Unternehmen. Langsam kommt meine Erinnerung wieder. Ich sehe nicht wie Johannes aus, aber meine Gedanken sind meine. Jakobs Gedanken verdränge ich. Nur ich kann alle retten.
„Wer ist das?“, fragt er sie und zeigt auf mich.
Paulus wacht auf und gibt statt dessen die Antwort.
„Das ist Jakob. Ein Freund von Johannes. Unser Cousin wollte, dass er den Platz ein nimmt.“
„Ein zweiklassiger Autor? Das ist nicht euer Ernst. Die Bücher sind total irre. Der gehört in einer Irrenanstalt.“
„Moment“, unterbreche ich ihn.
„Was?“
„Du kennst mich nicht“, erwidere ich.
Samuel hebt die Augenbrauen und wendet sich dann zu Florentine.
„Kann ich dir beim Frühstück helfen? Die drei bleiben doch nicht hier, oder?“
Paulus schreitet jetzt ein und gibt seine Meinung bekannt.
„Wenn hier einer fehl am Platz ist, dann du!“
„Paulus, wir verstehen und doch gut. Du weiß wie ich, dass Johannes nur mit Florentine gespielt hat. Judith will ihn wieder zurück.“
Ärgerlich springe ich auf und meine Wut bricht in Worten aus.
„Du bist so ein Arsch. Wer war denn mit Judith in Bett? Johannes war ganz schön angepisst, es so zu erfahren. Ganz ehrlich? Dein Cousin hat mehr Respekt vor Beziehungen als du. Er liebte jemand anders und hat nur nach außen die Fassade aufrecht erhalten, weil sie vergeben war. Dann kam raus, dass diese Frau gar kein Freund hat. Johannes wollte alles regeln, aber leider kam etwas unerwartetes dazwischen.“
„Und was, wenn ich fragen darf?“
„Tja lieber Samuel, kannst du es mir nicht sagen?“
„Wieso ich?“
Alle starren uns an? Sie beobachten unser Wortgefecht.
„Was hat Samuel damit zu?“, will Florentine wissen.
„Es ist nur so ein eigenartiges Gefühl. Johannes deutete mir vor seinen Verschwinden so etwas an!“
Jetzt sieht mich Paulus irritiert an und kommt zu mir. Er flüstert zu mir: „Was heißt das? Hat …?“
Ich unterbreche ihn und in Flüsterton geht unsere Unterhaltung weiter.
„Das weiß ich nicht. Frage mich nicht, es nur so ein komisches Gefühl. Du kennst das bestimmt auch. Ein ungutes Gefühl.“
„Du hast mir nie gesagt, wen du mit Judith erwischt hast. Sag mir nicht, es war Samuel?“
„Doch! Ich hatte ihn vertraut. Wir alle hatten ihn vertraut. Er wusste, dass ich den Tag länger unterwegs bin. Aber dann gibt das Gespräch doch schneller von statten, wie ich dachte. Ich kam in die Wohnung und erwischte die beiden in unserer Wohnung in unseren Bett. Mir war total schlecht. Es war schon lange nicht mehr so. Ich wunderte mich, warum Judith mich immer so kontrollierte. Sie wusste über alles Bescheid. Meine Finanzen waren ihr wohl das wichtigste. Dieser Tag brachte mir eine Erkenntnis. Ich wollte es nie wirklich realisieren und verschloss mich vor der Wahrheit.“
„Wie meinst du das?“
„Ich muss etwas zugeben.“
„Was?“
„Den einen Ball, wo deine Freundin und Judith nicht konnten. Erinnerst du dich?“
„Ja klar?“
„An den Abend fühlte ich etwas, was ich nie vorher kannte. Ich hatte es schon eine Weile gespürt, aber da traf es mich mit Wucht. Es war eine Leichtigkeit es zu ändern, aber ich hätte….“
„Ich weiß, du hättest gegen etwas verstoßen.“
„Paulus, ich bin eine ganze Zeit vor meinen wahren Gefühlen weggelaufen. Wir hatten später noch einen Gespräch, als du es mir mit Sarah anvertrautest. Deswegen bat ich dich um dieses Gespräch. Ich wollte dir und mir helfen.“
„Du hast recht. Ich fand es erst merkwürdig, aber jetzt klingt es total logisch. Kommen deine Erinnerung wieder?“
„Ja, seit Iva gesagt hat. ich soll nicht mehr so oft zu ihr zurückkommen. Ich soll wieder meine Gedanken beherrschen und nicht sie um Rat fragen, sondern meine eigenen Entscheidungen treffen.“
Paulus blickt zu mir und fragt leise: „Wer ist Iva?“
„Iva ist eine Beraterin. Sie hat mir gesagt, wer ich bin. Und meine Gedanken sind nicht die von Jakob. Bloß Jakobs Überlegungen wollen mir einen Streich spielen. Es gibt einen Trick, die Meinungen von Jakob und Jackolus, nicht die Oberhand zu geben.“
„Die wäre, wenn ich fragen kann.“
„Ich muss immer mehr in meinen Schubladen im Kopf kramen, um das Wesentliche zu begreifen und nicht träumen von Jackolus Welt.“
„Okay ich verstehe.“,
Dann sieht er mich an und kommentiert sehr leise: „Wenn ich dich so ansehe, hat Jakob Ähnlichkeit mit dir. Es fällt mir jetzt erst auf. Die Statur passt leider nicht dazu. Die roten Haare und der Bart auch nicht. Den Johannes, den ich kenne, trägt kein Haare im Gesicht, sondern nur auf den Kopf. Wenn du dich rasiert und die Kopfhaare auf die eine andere Farbe änderst, würde ich sagen, du bist im Endeffekt nur fülliger geworden. Ich denke, das hat dein Vater auch gesehen. Warum habe ich das nur nicht gesehen? Vielleicht liegt es daran, dass du ein gutes Verhältnis zu deinen Vater damals hattest. Ich glaube, es ist immer noch so.“
„Was tuschelt ihr beiden da? Dürfen wir auch an unseren Gespräch dran teilnehmen?“, ruft Samuel jetzt dazwischen.
„Nichts und Nein. Ihr dürft nicht daran teilnehmen. Es geht um etwas sehr brisantes“, erwidert Paulus.
„Um was?“, hakt Samuel nach und kommt uns näher.
„Geschäftliches“, erwidert Paulus.
Die Mädels sehen uns drei irritiert an. Plötzlich ruft Florentine: „Lass uns frühstücken. Paulus hat gestern Abend noch einen Tisch bestellt. Ihr beide habt gesagt, es wäre okay, wenn Samuel kommt. Aber es ist schön, dass wir euch nicht wecken mussten, sondern von selbst aufgewacht seid.“
„Haben wir das?“, frage ich Paulus.
„Anscheinend. Ich kann mich nicht erinnern.“
„Ja, dann lass uns los“, teilt uns Sarah mit.
„Können wir uns ein bisschen frisch machen?“, frage ich und zeige auf uns beide.
Samuel gibt einen Spruch ab: „Noch eine Verzögerung? Ist ja bei Paulus immer so.“
Sarah und Florentine nicken. Wir gehen nach einander ins Badezimmer und machen Katzenwäsche. Als wir fertig sind und im Flur stehen, öffnet Sarah die Tür. Dann starten wir.
Zehn Minuten später kommen wir im Café an. Die Bedienung zeigt uns unseren Tisch. Wir setzen uns und bestellen. Da heute Brunch ist, können wir warm und kalt essen. Paulus, Sarah, Florentine und Samuel gehen los. Ich bleibe sitzen und beobachte die Situation. Als die vier wieder sind, gehe ich los. Kurze Zeit später höre ich eine Stimme, die ich nicht zu ordnen kann. Ich drehe mich um und Judith steht da. Sie sieht mich an.
„Kennen wir uns?“
„Nein, warum?“
„Sie starren mich an.“
„Ich war in Gedanken und hörte auf einmal eine Stimme direkt hinter mir. Deswegen schaute ich um. Es hat nichts zu bedeuten.“
„Mein Ex-Freund hat genau das Gleiche gesagt, als wir uns das erste Mal trafen. Verrückte Welt.“
Plötzlich steht Florentine neben mir und hält meine Hand fest.
„Oh, du hast dich getröstet. Wurde auch Zeit. Wenn Johannes wieder kommt, hat dich garantiert vergessen.“
„So ein Scheiß. Zwischen mir und Johannes war nichts. Du siehst weiße Mäuse.“
„Ich will euch echt nicht stören“, sage ich und ergänze noch, damit ich nicht auffliege: „Wenn ihr meine Meinung hören wollt.“
„Wollen wir nicht“, erwidern beide gleichzeitig.
„Mir egal, ich vertrete nur den Standpunkt von Johannes. Wie heißt die Frau überhaupt?“
„Judith“, gibt Florentine als Antwort.
„Also Johannes hat mir gesagt, Judith kann bleiben, wo der Pfeffer wächst. Mache dir keine große Hoffnung und jetzt zu dir Florentine. Du hast recht, die Frau sieht wirklich viele Mäuse. Darauf fährt sie total ab.“
„Du hast eine Macke“, sagt Judith und geht zu einen Tisch. Oh, ich sehe ihre Freundin Wanja ist auch da. Passt. Jetzt bin ich der ungehobelte Kerl, der Judith die schreckliche Wahrheit ins Gesicht gesagt hat.
Florentine sieht mich an und stellt mir eine Frage: „Wer bist du?“
„Jakob, warum fragst du?“
„Weil du so viel von Johannes weiß und ihn nie im Büro besucht hast.“
„Weißt du was?“
„Nein?“
„Privates sollte zuhause bleiben. Bis vor kurzen wohnte ich ja auch weiter weg. Wir sahen uns nicht oft, sondern riefen uns an.“
Mit dieser Erklärung gibt Florentine sich zufrieden und lässt meine Hand los. Es tat gut, ihre Hand in meiner zu spüren. Vielleicht hat sie es auch bemerkt. Sie geht zum Tisch, bleibt stehen und sucht meinen Blick. Unsere Augen verschmelzen und plötzlich wendet sie sich ab. Ich sehe den Grund. Samuel. Was sie an den Typen findet? Kann sie sich so schnell trösten? Dann nehme mir noch ein Hörnchen und gehe wieder zu denen an Tisch. Sarah, Paulus, Samuel und Florentine unterhalten sich. Ich beteilige mich nicht am Gespräch und höre den vieren zu. Immer wieder schaut mich Samuel grimmig an und fragt sich wohl, was ich vorhabe. Eigentlich nichts. Nur mein Leben wieder zurück.
Nach dem Frühstück hat Paulus eine Überraschung für uns. Vor dem Café steht eine Kutsche.
„Leute, rein mit euch“, teilt er fröhlich mit.
„Fahrt man. Ich bleibe hier. Für fünf Leute etwas zu viel“, sage ich.
„Ach, Quatsch“, argumentiert Sarah und flüstert etwas Florentine etwas ins Ohr. Dann wendet sie sich zu uns.
„Also wir haben beschlossen. Du, lieber Paulus setzt dich mit Florentine auf die eine Seite. Ich setze mich mit den beiden übrig gebliebenen Männer auf die andere Seite.“
„Mit den Beiden geht es nie gut“, wirft Paulus ein.
„Doch, ich sitze in der Mitte.“
Total verrückter Plan, aber was bezweckt sie damit. Wir steigen ein. Jetzt kapiere ich es. Sarah kann so Paulus in die Augen sehen damit es keiner bemerken kann. Geniale Idee. Und Florentine Samuel, schießt es mir in den Kopf. Na, super. Kurze Zeit später sehe ich zu den beiden rüber und sie unterhalten sich leise. Mein Blick wandert zu Samuel. Er sieht wütend aus und ruft auf einmal: „Stopp! Ich will aussteigen.“ Die Kutsche hält und er steigt aus.
„Viel Spaß beim Schmierentheater“, wirft er uns noch zu.
Als die Pferdekutsche wieder in Bewegung und Samuel aus der Hörweite ist, sagt Sarah: „Plan funktioniert!“
„Was? Welcher Plan?“
„Samuel loszuwerden“, gibt sie als Antwort und sieht zu Florentine rüber.
„Sorry, Sarah. Es war eine blöde Idee von mir, Samuel zum Frühstück einzuladen. Ich weiß ja, was du von den Typ hältst. Nächstes Mal treffe ich ihn allein“, teilt sie mit und sieht mir dabei in die Augen. Anschließend ergänzt sie noch: „Oder auch nicht, weil …..“
„Ja, ich weiß“, kommentiert Sarah.
„Weil was?“, hakt Paulus nach.
„Samuel ist ja ganz nett, aber überhaupt nicht meine Wellenlänge. Ich habe mich nur mit ihn getroffen, weil ich dachte, ich könnte jemand dadurch näher sein. Heute ist mir klar geworden, das ist totaler Irrsinn. Den anderen Mann kann er nie ersetzen, aber jemand anderes könnte es“, teilt sie uns mit und blickt wieder zu mir.
„Ich? Schminkt dir das ab. Ich bin dein Boss“, gebe ich schnell als Antwort. Eher viel zu schnell, um es glaubwürdig zu wirken. Paulus sieht mich irritiert an und sein Kommentar folgt jetzt: „Stimmt. Das geht gar nicht, aber es gäbe eine Lösung.“ Paulus hört auf zu reden und sieht Sarah in die Augen. Jetzt er ergänzt noch und wendet sich zu mir: „Wenn alle mitspielen.“
Sarah grinst und Florentine sieht mich verwirrt an.
Ich höre gar nicht mehr zu und sehe in ihre Augen. Sie wendet den Blick nicht ab. Paulus weiß nicht, wenn Florentine sich in Jakob verliebt, dann kommt Johannes nicht wieder. Ich muss es unbedingt mit ihn klären. Wir können gerne das Thema anschneiden, wenn ich wieder komplett da bin. Plötzlich senkt Florentine ihre Augen. Ich sehe zu Paulus und dann zu Sarah, die sich angeregt unterhalten und ihre Blicke sind ineinander verschmolzen.
Die Kutschfahrt dauert eine Stunde. Wir sehen die Weihnachtsbeleuchtung, den mit kugelbehängten Tannenbaum, den winterlichen geschmückten Park und die Häuser die in Licht erstrahlen. Florentine sieht, nachdem sie den Blick gesenkt hat, nicht mehr zu mir rüber. Wir kommen wieder am Café an. Wir steigen aus.
Sarah und Paulus verabschieden sich von uns. Florentine und ich bleiben dort stehen. Jetzt fängt Florentine an zu sprechen.
„Jakob! Was sollte das heißen? Spürst du es nicht auch?“
„Doch, Florentine. Aber ich bin nicht der, den du für mich hältst.“
„Ich frage dich nochmal, wer bist du?“
„Tine, ich kann es dir nicht sagen. Es sind viele Ungereimtheiten, aber glaube mir, Judith spielt in Johannes und mein Leben keine Rolle. Sie hat mich nie gekannt, aber ich umso besser. Mein Freund war schon lange nicht mehr glücklich, aber er hat alles viel zu spät erkannt.“
„Ich verstehe es nicht. Was soll das heißen?“, gibt sie mir als Antwort.
„Florentine, du kennst mich nicht lange. Ich vertraue mir. Vertraust du mir?“
Sie blickt zu mir und nickt. Dann trete ich zu ihr und nehme sie in den Arm.
„Es wird alles gut, wenn jeder weiß, was richtig ist. Dann kommt Johannes wieder. Ich glaube, ihr beide habt viel zu klären. Du siehst mich nicht, sondern du siehst ihn in mir. Das ist nicht richtig.“
Verdammt was fasele ich da.
Florentine blickt in meine Augen. Stopp. Hier läuft was schief. Unsere Lippen kommen immer näher. Wir dürfen es nicht. Noch nicht. Im letzten Moment kommt mir die Lösung.
„Samuel und du?“
„Fuck, Jakob! Du zerstörst die Stimmung.“
Das war mein Plan, aber das verrate ich ihr nicht. Ich kann ihr nicht sagen, dass ich vor ihr im falschen Körper stecke.
„Wie gesagt, ich dachte, ich sehe jemand anderes in ihn. Ich habe mich geirrt.“
„Also lass uns Zeit. Ich muss vieles herausfinden und Paulus hilft mir dabei. Vielleicht brauche ich auch deine Hilfe. Wir werden sehen.“
Danach trennen sich unsere Wege. Wie gerne hätte ich gesagt, dass ich, Johannes, im einen anderen Körper stecke. Ich glaube, Iva würde sagen, es wäre nicht gut. Nicht ich habe die drei Geister, die ich rief herausgefordert, sondern Jakob.
Und das ist meine neue Erkenntnis.